#146 Der Fotograf

Wieder einmal verbringe ich den Abend im 1830, in dem Club in dem ich in Havanna jeden Abend tanzen gehe. Böse Zungen bezeichnen ihn bereits als meinen Arbeitsort. Heute habe ich aus lauter Langeweile die Tänzerinnen mit meiner Spiegelreflexkamera fotografiert. Einmal mehr sind meine Fotos völlig unterbelichtet, obwohl ich dem Beleuchter mit ein paar Bierchen bestochen habe: Die Bühne war so hell war, dass die Tänzerinnen beinahe von der Bühne gefallen wären.

Es ist einer der Tage, an den ich mich kaum je erinnern werde, geschwiegen denn will. Doch gerade als ich das 1830 verlasse, begegne ich Lucho. Er ist der beste Fotograf, den ich jemals getroffen habe. Ich sehe ihn an jedem Konzert am Fotografieren der Superstars. Lucho gehört zu jeder Bühne wie das Amen in der Kirche. Er ist Inventar, erst ist fester Bestandteil jedes kubanischen Konzertes. Frustriert spreche ihn an und frage frech: „Kann jeder im ‚Casa de La Musica‘ auf der Bühne fotografieren?“ Er lacht und schüttelt den Kopf: „Nein, ich arbeite seit über neun Jahre für die Musiker und kenne alle persönlich“. Gerne aber könne ich ihm morgen am ‚Fiesta de Tambour‘ als Assistent helfen.

Pünktlich treffen wir uns am nächsten Tag im Pressezentrum des Festivals. Ich erhalte gratis einen Wochenpass. Zu meiner Überraschung stellt mich Lucho als seinen langjährigen Freund, den professionellen Fotografen aus der Schweiz vor. Ich denke an all meine unterbelichteten Fotos, schlucke leer. Meine Relativierung, dass ich Hobbyfotograf sei, will niemand mehr hören! Dreißig Minuten später befinde ich mich ‚Backstage‘ mit allen Stars. Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung wer Star und wer Kellner ist. Vorsichtshalber spreche ich nur über Klischees wie Schweizer Schokolade und die Alpen. Immer wieder wird ein „vermeintlicher Kellner“ plötzlich vom Publikum umzingelt und fotografiert.

Zeit ebenfalls meine Kamera zu zücken. Unglaublich was die „Canon“ in meiner Hand bewirkt: Selbst die Stars hüpfen wie junge Küken um fotografiert zu werden. Niemand bemerkt meine Unsicherheit. Überall Adrenalin pur. Ich schaffe es ohne gröbere Peinlichkeiten Fotos von all den Stars zu schiessen, sprich ich falle nicht von der Bühne und entferne vor jedem Foto zielsicher den Kameradeckel. Klar, bestimmt hat sich auch den einten oder anderen Kellnern fotografiert, aber lieber ein Foto zu viel als eines zu wenig.

Erst als wir ins „Karl Marx“, den grössten Konzertsaal Havannas wechseln, wird mir bewusst wie bevorzugt ich vom Leben gerade werde. Tausend Zuschauer, auf der Bühne Stars wie Alain Perez und Los Vanvan! In den ersten 5 Minuten schiesse ich gefühlte 1’000 Fotos , während Lucho immer noch lässig entspannt sein Objektiv putzt. Danach geht es in die Garderobe der Künstler. Lucho stellt mich den Stars persönlich als die Entdeckung der Schweizer Fotoszene vor. Ich spreche mit Mandy, Samuel und Vanessa Formell (Mitglieder von Los Vanvan). Wooh, kaum zu glauben: Gestern noch wäre ich als „einfacher“ Zuschauer extrem glücklich gewesen, heute behandeln mich die Musiker wie einen langjährigen Freund.

So geht es eine Woche! Immer öfters lässt mich Lucho alleine Fotos bei Interviews und Presseauftritten schiessen. Scheinbar waren die Bilder, die ich mit vollautomatischer Einstellung geschossen habe, doch nicht so schlecht. Danke Canon! Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er sich lieber um das leibliche Wohl der weiblichen Stars kümmert.

Am letzten Tag des Festivals nimmt Lucho komplett frei. Als ich in einer der kurzen Verschnaufpause Facebook öffne, trifft mich der Schlag: Lucho kündet auf Facebook gerade seinen Abschied von Kuba an! Neun Jahre Fotograf seien genug gewesen, er kehre zurück nach Peru.

Der Rest ist schnell erzählt. Drei Tage später reist Lucho ab und ich bin der neue Hof-Fotograf Havannas: Keine Fotosession, kein Konzert ohne mich. Im Gegenteil, ich konzentriere mich auf die bekanntesten Bands um nicht ständig auf der Bühne zu stehen. Wann immer ein Konzert ohne mich stattfindet, das mich interessiert, rufe ich einfach Lucho an. Er gibt mir kurzerhand die Telefonnummer des Produzenten, Tochter, Ehefrau oder Geliebten. Ein kurzes Gespräch und ich werde an der Kasse abgeholt. In drei Monaten fotografiere ich so an über vierzig Konzerten, schiesse gegen 30k+ Fotos.

Als meine Lieblinsgband  „Havana d’Primera“ auf Europatournee geht, gibt es kein Halten mehr. Ich fliege mit Ihnen nach Europa, hole meinen Camper in der Schweiz und begleite sie an die Konzerte. Während sie im 5-Stern Hotel schlafen, übernachte ich auf dem Parkplatz im VW-Bus. Spätestens jetzt bin ich auch für die Musiker eine Legende. Am letzten Konzert zahlt mir die Produzentin sogar das Hotel.

Als ich dann Alexander Abreu und sein Orchester vor meinem VW ablichte, erfüllt sich für mich mein letzter Traum: Während meiner Fahrt über die Panamericana habe ich ständig ihre Musik (im speziellen das Lied „vuelta del mundo“) gehört. Ich bin Alexander Abreus größter Fan. Jetzt sitzt er in meinem Camper. Ich bin gerade sprachlos!

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