«Ruhe vor dem Sturm», ich weiss zwar immer noch nicht woher der Ausdruck stammt, weiss jetzt aber genau was damit gemeint ist: Die letzten beiden Tage! Heute Nacht purzle ich zum ersten Mal zum Bett raus, so stark ist das seitliche Rollen der Hs Bruckner. Zum Glück steht das Sofa in meiner Kabine senkrecht zum Bett bzw. zum Rollen des Frachters, so dass ich friedlich auf dem Sofa weiterschlafe. Der Seegang ist gemäss Wetterbericht 6m hoch, die Gischt sprüht über die Container, der Kapitän will den Kurs wechseln und ich… springe vor Freude auf der Brücke rum und schiesse Fotos! Das liegt bestimmt an den kleinen roten Pillen, die ich gegen die Seekrankheit genommen habe! Ich will nicht wissen was da alles drin ist. Aber lassen wir den Seegang, das ist langweilig.
Härter als der Seegang trifft mich nämlich die Frage des Kapitäns nach der Initiative, die wir in der Schweiz angenommen hätten! Wie, bitte?! Erstens bin ich hier im nachrichtenfreien Raum: Kein Internet, kein TV, kein Radio. Scheinbar war die Meldung so wichtig, dass sie über Funk oder auf der Wettermeldung übermittelt wurde! Zweitens: die Masseneinwanderungs Initiative angenommen!? Ich verstehe gerade die Welt nicht mehr und schaue beschämt auf den Atlantik raus. Wie erkläre ich einem Rumänen, der aus einem isolierten Staat in die europäische Union eingetreten ist, dass wir als «fortschrittliche» Nation den Weg in die Isolation suchen? In Senegal noch habe ich über den Italiener gelächelt (siehe Afrika #67), der ins Italien der Nach-Berlusconi-Ära zurückkehren muss. Was erwartet mich dereinst bei meiner Rückkehr: Christoph Blocher mit dem Sturmgewehr – vor einer Grenzmauer, die er selbst um die Schweiz gebaut hat – mit den ewig gestrigen Worten eines Türstehers: «Nein, Du kommst hier nicht rein!»
Mein Blick wandert von der Brücke auf den vordersten Container der Hs Brückner und mein nächster Gedanke versöhnt mich: Ja, wie lehrreich wäre es klein Christoph da einzusperren, mit dem rumänischen Kapitän und dem philippinischen Personal ein paar Jahre um die Welt zu senden, damit er lernt was Integration bedeutet und auch etwas von der Welt gesehen hat!
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